Autoimmunerkrankungen entstehen, wenn das Immunsystem – dessen Aufgabe es ist, uns vor Viren und Bakterien zu schützen – beginnt, das körpereigene Gewebe anzugreifen.
Anstatt körpereigenes Gewebe als ungefährlich zu erkennen, werden bestimmte Immunzellen überaktiv oder fehlgeleitet und schädigen Organe, Gelenke, Drüsen oder Nerven. Zu dieser Gruppe von Erkrankungen zählen unter anderem rheumatoide Arthritis, Typ-1-Diabetes, Zöliakie, Lupus und Multiple Sklerose. Neuere Studien zeigen, dass viele Autoimmunerkrankungen trotz unterschiedlicher Symptome gemeinsame zugrundeliegende Immunmechanismen aufweisen, wie beispielsweise den Verlust der Immuntoleranz, eine Dysregulation von T- und B-Zellen sowie eine anhaltende Entzündungsreaktion<sup> 1 </sup>.
Wie Autoimmunerkrankungen entstehen: Gene und Umwelt
Autoimmunerkrankungen erfordern in der Regel das Zusammenspiel zweier Faktoren: einer genetischen Veranlagung (der genetischen Veranlagung des Immunsystems) und Umweltfaktoren, die das Gleichgewicht kippen. Genetische Faktoren können das Grundrisiko erhöhen, erklären aber nicht alles. Große Genstudien zeigen gemeinsame und krankheitsspezifische genetische Risikofaktoren auf, verdeutlichen aber auch, dass Gene allein nicht erklären, warum die meisten Menschen eine Krankheit entwickeln oder nicht.
Häufige Umweltfaktoren, die Autoimmunerkrankungen auslösen können, sind Infektionen, Rauchen und Luftverschmutzung, mangelnde Mundhygiene, Medikamente und bestimmte Nahrungsmittel. Diese Faktoren können Entzündungen hervorrufen, die Präsentation von Antigenen an das Immunsystem verändern oder verborgene („kryptische“) Selbstantigene sichtbar machen, die eine Autoimmunreaktion auslösen.<sup> 3,4</sup>
Das Darmmikrobiom; ein zentraler Akteur
Eine der spannendsten Entdeckungen des letzten Jahrzehnts ist der Einfluss des Darmmikrobioms (der Gemeinschaft von Bakterien, Pilzen und anderen Mikroorganismen in unserem Darm) auf das Immunsystem. Eine veränderte Zusammensetzung des Mikrobioms – Dysbiose genannt – wird mit vielen Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht. Zu den vorgeschlagenen Mechanismen gehören:
- Veränderte Immunbildung: Nützliche Mikroben helfen dabei, regulatorische Immunzellen zu „trainieren“, die unangemessene Immunangriffe verhindern.
- Störung der Darmbarriere: Eine Dysbiose kann die Durchlässigkeit des Darms erhöhen („durchlässiger Darm“), wodurch bakterielle Produkte entweichen und systemische Entzündungen verstärken können.
- Molekulare Mimikry und Metaboliten: Einige mikrobielle Antigene oder Metaboliten ähneln körpereigenen Proteinen oder verändern die Immunsignalgebung und lenken das System in Richtung Autoimmunität 5,6 .
Große Kohortenstudien haben frühkindliche Veränderungen des Mikrobioms bei Kindern untersucht, die später eine Inselzellautoimmunität (Typ-1-Diabetes) entwickeln. Zahlreiche Übersichtsarbeiten fassen übereinstimmende Zusammenhänge zwischen Mikrobiomveränderungen und dem Risiko für Autoimmunerkrankungen zusammen. Obwohl die Kausalzusammenhänge vieler Erkrankungen noch nicht vollständig geklärt sind, gilt das Mikrobiom heute weithin als wichtiger, modifizierbarer Faktor in der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen.<sup> 6,7</sup>
Gute Nachricht: Gene bestimmen nicht das Schicksal
Selbst bei genetischer Veranlagung lässt sich eine Autoimmunerkrankung oft verzögern, abschwächen oder kontrollieren. Das liegt daran, dass viele Auslöser und Einflussfaktoren umweltbedingt sind und mit dem Lebensstil zusammenhängen. Jüngste Forschungsergebnisse in der Lebensstilmedizin und Epidemiologie zeigen, dass eine Kombination gesunder Verhaltensweisen mit einem geringeren Risiko und besseren Behandlungsergebnissen bei chronisch-entzündlichen und Autoimmunerkrankungen einhergeht. <sup>8</sup>
Autoimmunität verstehen: Frühzeichen und das Spektrum
Autoimmunität ist nicht immer eine „Alles-oder-nichts“-Erkrankung, die plötzlich mit dramatischen Symptomen auftritt. Tatsächlich entwickeln sich viele Autoimmunerkrankungen schleichend über Jahre hinweg, oft beginnend ohne erkennbaren Verlauf, bevor eine formale Diagnose gestellt wird. Dr. Tom O’Bryan beschreibt dies als das Autoimmunspektrum, ein Kontinuum, das lange vor dem Auftreten schwerwiegender Organschäden beginnt. Auf diesem Spektrum kann das Immunsystem bereits fehlreguliert sein und geringe Mengen an Entzündungsreaktionen oder Autoantikörpern produzieren, selbst wenn sich die betroffene Person weitgehend wohl fühlt.
Frühe Anzeichen einer Autoimmunerkrankung sind oft subtil und können übersehen werden, da sie nicht immer mit dem Immunsystem in Verbindung zu stehen scheinen. Häufige, unspezifische Symptome können Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Verdauungsprobleme, Gelenksteife oder leichte Schmerzen, Hautveränderungen, Stimmungsschwankungen und häufige Infektionen sein <sup>10,11</sup> . Da diese Anzeichen oft vage sind, bemerken viele Betroffene nicht, dass ihr Immunsystem möglicherweise bereits fehlgeleitet reagiert. Das Erkennen dieser frühen Indikatoren ist entscheidend, denn Interventionen in diesem Stadium – insbesondere solche, die auf beeinflussbare Faktoren wie Ernährung, Stress, Schlaf und Darmgesundheit abzielen – können einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen oder das Risiko einer manifesten Autoimmunerkrankung zu verringern <sup>11 </sup>.
Autoimmunerkrankungen entwickeln sich im Laufe der Zeit durch ein komplexes Zusammenspiel genetischer Veranlagung, Umweltfaktoren und einer Fehlregulation des Immunsystems. Anfänglich können geringfügige Ungleichgewichte dazu führen, dass das Immunsystem auf kleinere Reize überreagiert, was sich allmählich zu chronischen Entzündungen und Gewebeschäden ausweitet. Dieser Prozess erklärt, warum Autoimmunerkrankungen mehrere Organsysteme betreffen, sich bei verschiedenen Menschen unterschiedlich manifestieren und oft erst Jahre nach den ersten subtilen Warnzeichen auftreten. <sup>12</sup>
Wichtigste Erkenntnisse
Auch wenn die Genetik die Voraussetzungen schafft, ist der Verlauf von Autoimmunerkrankungen nicht unabänderlich. Lebensstilfaktoren wie eine gesunde Darmflora, Stressmanagement, optimaler Schlaf, nährstoffreiche Ernährung und das Vermeiden bekannter Umweltfaktoren können beeinflussen, ob das Immunsystem im Gleichgewicht bleibt oder sich in Richtung Autoimmunität verschiebt. Diese Strategien werden in unserem nächsten Artikel „Kostenlose Tipps zum Umgang mit Autoimmunerkrankungen“ ausführlich erläutert.
Das Erkennen von Frühsymptomen, das Wissen um das Spektrum der Autoimmunerkrankungen und die Berücksichtigung veränderbarer Faktoren versetzen den Einzelnen in die Lage, zu handeln, bevor sich eine schwere Krankheit entwickelt, und bieten Hoffnung und Kontrolle selbst für diejenigen mit einer genetischen Veranlagung.
Möchten Sie mehr über Autoimmunität erfahren?
Hören Sie sich unsere Podcast-Folge „Die versteckten Auslöser von Autoimmunität“ an, moderiert von der Funktionellen Medizin-Praktikerin Julia Davies und der Autoimmun-Spezialistin Muriel Wallace Scott BANT, auf unserem YouTube-Kanal.